Donnerstag, 18. April 2013

Vom Stillen



Ziemlich geärgert habe ich mich diese Tage über einen Artikel zum Thema "Stillen" in der Zeitschrift NIDO (Ausgabe 04/2013, S. 64-68).
So sehr, dass ich nun schon eine ganze Weile über diesen Blogeintrag nachdenke und gerne etwas dazu sagen möchte.
Die Autorin Katja Töpfer argumentiert, in Deutschland gäbe es einen gesellschaftlichen Stillzwang, da Stillen untrennbar mit dem Urteil "gute Mutter" verbunden sei. Wer da nicht mithalten könne oder wolle, sähe sich Anfeindungen insbesondere anderer Mütter ausgesetzt. 
Die Frage der Ernährung von Säuglingen sei zu einem "Religionsersatz" geworden, aus einer "guten Idee" eine "Ideologie" unter der viele Frauen leiden. Schuld sind - u.a. die Nationale Stillkommission und "übereifrige Hebammen und Laktationsberaterinnen", die sich nicht genug an der "Lebenswirklichkeit junger Mütter" orientierten.
Der Artikel nennt die Vorteile der Flaschenernährung und meldet Zweifel am mehrheitlich gepriesenen gesundheitlichen Nutzen des Stillens an, was Allergieprävention, Vermeidung von späterem Übergewicht etc. angeht.

Ich möchte keinesfalls abstreiten, dass manche Mütter, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht stillen, sich in Rückbildungskursen, Krabbel-, oder anderer Gruppen komischer Blicke oder abwertender Kommentare ausgesetzt fühlen.
Kürzlich las ich, dass 95% aller Frauen in Deutschland vor der Geburt ihres Kindes gerne stillen wollen - dass die Realität dann nach wenigen Wochen anders aussieht, hat die verschiedensten Ursachen - meiner Erfahrung nach erhalten viele Frauen beim Stillstart zu wenig Unterstützung und geben dann wegen großer Schmerzen beim Stillen, ständiger Milchstaus & Brustentzündungen mit Fieber, Schüttelfrost und anderer grippeähnlicher Symptome, ungenügender Gewichtszunahme des Kindes  etc. irgendwann auf. 
Manche haben Unterstützung durch Hebammen,Stillberaterinnen & Mütterpflegerinnen  und trotzdem scheint es keinen Weg zu einer unproblematischen Stillbeziehung zu gebe, worunter viele Frauen leiden.
Manche Frauen verbringen Wochen oder Monate mit frühgeborenen und/oder schwerstkranken Kindern im Krankenhaus. Es gibt so viele Gründe. Und ja, es ist gut, dass es dann die Möglichkeit gibt, sein Kind gesund mit der Flasche groß zu ziehen - aus welchem Grund auch immer. 

Das eigentliche Problem sehe ich ganz woanders. 
Zum einen: Muttermilch hat keine "Vorteile". Muttermilch ist das, was für für Säuglinge vorgesehen ist, wie der richtige Schlüssel im richtigen Schloss. Mutter, Brust, Baby. Ende. Jeder Tropfen ist wertvoll.
Sie steht einfach außerhalb jeder Konkurrenz! 
Und man könnte ja nun endlich mal aufhören, das als Last anstelle eines Privilegs zu betrachten, etwas, was eine Zeit lang Teil unseres Leben ist. Eine wahre "Superpower", das Vermögen, das eigene Kind aus eigener Kraft zu ernähren! 
Es ist schade, dass man sich nicht mehr für das Stillen einsetzen darf, ohne in Verdacht zu geraten, alle zu verurteilen, die sich nicht dafür entschieden haben.

Denn dass die Umsetzung nicht immer leicht ist, steht ja auf einem anderen Blatt! 

Nun aber argumentativ zu versuchen, das Stillen abzuwerten, weil es am Ende doch nicht die Vorzüge hat, die man meinte, analysiert zu haben (Stichwort: Allergieprävention), um damit gleichzeitig das Milchfläschchen aufzuwerten ist - aus meiner Sicht - eine Frechheit und (wo die Autorin sich doch so für die Wahlfreiheit der Frauen einsetzt) ihrerseits extrem stillunfreundlich. 

Kein Mensch braucht - sorry - krude Argumente gegen das Stillen. Und auch keine, die versuchen, die Qualität von Muttermilch einschränken. Selbst wenn das Stillen das Risiko für Allergien nicht senkt, bleibt Muttermilch für den kindlichen Organismus bzgl. Nährstoffzusammensetzung etc. das Optimum. Da braucht es keine zusätzlichen Prädikate - das müssen auch nicht-stillende Frauen anerkennen.


Da wird ja nun oft ein neuer antifeministischer Biologismus unterstellt, der die Frauen wieder an die Kette legt und sie zwingt, 24/7 mit ihrem Kind zu verbringen anstatt sich um ihre Karriere zu kümmern oder, wie im Artikel genannt, abends mit Freunden wegzugehen. 
Ich sage ganz offen: Jedes Ding hat seine Zeit. 
Die Zeit, die man (und das gilt für nicht-stillende Mütter ja ebenso!!!) mit dem neugeborenen Kind verbringt und "investiert", ist in jedem Fall gut angelegt. Am Gefühl einer Mutter (oh, und ich kenne es selbst so gut!) "Ich müsste hier mal wieder raus" ist jedenfalls nicht nur das Stillen schuld.

Letztlich entspringt diese Argumentation ja selbst einem offenbar latent vorhandenen Rechtfertigungsgefühl - Die Aufzählung der Vor- und Nachteile der Säuglingsernährung hilft den Müttern jedoch kein bisschen,  Nicht denen, die stillen wollen und verzweifelt sind, weil es nicht klappt. Nicht denen, die nicht stillen wollen und sich angefeindet fühlen - denn es verlagert nur die Problematik von der individuellen Situation weg hin zu einer Spaltung in "wir, die stillen" und "die, die es nicht tun."

In diesem Blogeintrag habe ich einen wunderbaren Passus zu dem Thema gefunden, den ich hier sinngemäß übersetze:

"Liebe Mutter, wenn du stillen möchtest, verpflichte dich nur selbst dazu. Wenn du feststellst, dass es so schwer ist, dass du denkst, du schaffst es nicht (mehr), dann mach keine Ausflüchte. Es ist deine Entscheidung. Own it!"

Wir brauchen jedenfalls keine Vorverurteilungen. Keine Schlussfolgerungen von der Ernährung des Kinder auf die Fähigkeiten als Mutter - stattdessen aber jede Menge Ermutigung - für die 95% der Frauen, die gerne stillen wollen.
Jede Menge Wissen, das für alle zugänglich ist - von Hebammen, Freundinnen, Müttern. 
Keine blutigen Horrorgeschichten, sondern Fakten, Tipps und Tricks, die wirklich helfen. 
Begleitung ohne Druck, wenn es "ernst" wird, mitten in der "Lebenswirklichkeit" der einzelnen Frau und ihrer Entscheidungen.

Und dabei ist dieser Artikel leider gar keine Hilfe.
Du hast eine Meinung zum Thema? Ich freue mich, wenn du mir schreibst!









3 Kommentare:

  1. Ich freue mich ehrlich gesagt über jeden Artikel, der nicht stillenden Frauen Mut macht und versucht ihnen das schlechte Gewissen zu nehmen. Stillen ist ein Privileg? So kann man es betrachten. Schade dass es wie bei allen Privilegien leider einige Mütter und Babys außen vor lässt. Und diese Mütter können zumeist nicht einfach (wie oft gefördert) härter kämpfen oder "nur noch ein bischen länger durchhalten". Leider erreichen alle gutgemeinten Tipps von Profis und auch anderen Müttern (Tanzen, fremden im Café....) nur eines, nämlich dass nicht-stillende Frauen ein Gefühl des Versagens verspüren und sich und ihr Baby permanent verbal verteidigen müssen. Können wir nicht einfach beide Seite in Frieden lassen. Säuglinge gedeihen mit Liebe bei beiden ernährungsweisen, doch in jedem Fall brauchen sie entspannte Mütter die sich so Wohlfühlen dürfen wie sie sind oder sein wollen.

    AntwortenLöschen
  2. Hallo! Danke für deinen Kommentar! Ich stimme dir zu und habe versucht, das auch in meinem Artikel rüber zu bringen. Ich wehre mich nur dagegen, wenn zur "Stärkung" nicht stillender Mütter das Stillen abgewertet wird oder suggeriert wird, dass es doch ohnehin mit der "Lebenswirklichkeit" der jungen Frauen von heute nicht kompatibel sei. Das sind einfach keine überzeugenden Argumente. Liebe Grüße!

    AntwortenLöschen
  3. Hallo Kathrin!
    Das stimmt natürlich, abwerten sollte man keine der beiden Varianten, ich hatte das im Originalartikel allerdings auch nicht so aufgefasst, auch wenn dieser durchaus einen recht harten Ton anschlägt.
    Im übrigen danke ich dir für deine Antwort, ich mag deinen Blog sehr und freu mich immer über neue Einträge.

    AntwortenLöschen